Mittwoch, 17. September 2014

Recht VS. Gerechtigkeit

Ich halte mich für einen Menschen mit einem starken Gerechtigkeitssinn. Ungerechtigkeiten - ob bei der Gleichberechtigung, beim Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern oder in sozialen Fragen - stoßen mir sehr auf. Lange Zeit glaubte ich wenigstens, unser Rechtssystem sei - wie es sein Name ja mutmaßen lässt - ein geRECHTes. Mittlerweile bin ich nicht mehr dieser Meinung. Die heftigen öffentlichen Reaktionen auf gefühlt unfaire Urteile (geringen Strafen und Freigang bei Kindesmissbrauch und Vergewaltigung, Ungleichbehandlung berühmter Straffälliger inkl. Freikaufen durch Kautionen, Entlassungen von Verkäuferinnen wegen der Unterschlagung eines Pfandbons uvm.) zeigen, dass es nicht nur mir so geht.
Seit nunmehr sechs Jahren führe ich selbst einen Rechtsstreit und muss feststellen: Mein Gefühl stimmt. Gerechtigkeit geht anders!
Zur Sache:
Ich habe vor sieben Jahren als Redakteurin und Lektorin/Korrektorin für eine Familienzeitschrift gearbeitet. Ich recherchierte und verfasste den Großteil der im monatlichen Heft erscheinenden Artikel, sämtlichen Buchrezensionen, schoss Fotos, interviewte Bürgermeister und Kita-Gründer, war bei vielen kinder- und familienbezogenen Ereignissen unserer Stadt zugegen und las am Schluss das gesamte Heft Korrektur. Bis auf uns freie Mitarbeiter war das Ganze ein Ein-Frau-Unternehmen, getragen von viel Enthusiasmus und Engagement. Wie das so ist bei kleinen Projekten, bleibt die Wirtschaftlichkeit anfangs etwas auf der Strecke. Existenzgründerseminare sprechen von ein bis zwei Jahren Anlaufzeit, bis sich die Investitionen rechnen und man schwarze Zahlen schreibt. Nun stand die Firma aber nicht mehr ganz am Anfang, es gab die Zeitschrift bereist seit einigen Jahren, neu waren ein Familiencafé und eine Bastelwerkstatt gekommen.
Ich arbeitete sehr gern dort: Bis auf die Inhaberin waren alle Mitarbeiterinnen Mitte zwanzig, Mütter und mit viel Herzblut bei der Sache. Ich lernte eine Menge, hatte Spaß und bald auch eine neue gute Freundin in unserer Marketingchefin. Was schwierig bleib, war die Zahlungsmoral der Chefin. Meist kam der ohnehin schon magere Lohn (ich erhielt rund 400 Euro pro Monat) nur nach mehrmaliger Aufforderung.
Irgendwann machte sich bei mir Unmut breit. Ich arbeite viel und gut und verlangte nur wenig dafür - aber dieses Wenige wollte ich wenigstens zuverlässig und pünktlich bekommen. Andere sahen das nicht so und duldeten stillschweigend (oder offen verständnisvoll für die Finanzlage der Chefin) die Verzögerungen bis hin zu kompletten Lohnausfällen. Die Stimmung wurde ungemütlicher. Als unsere Layouterin rausgeekelt wurde, weil die Chefin das selbst angeblich viel besser konnte (allerdings wirklich keinen Schimmer hatte), reichte es mir. Ich verließ den Laden. Zu diesem Zeitpunkt standen noch zweieinhalb Monatsrechnungen aus.
Ich ging den üblichen Weg. Schrieb eine erste Mahnung mit Zweiwochenfrist. Schrieb eine zweite mit Mahngebühr und der Option, dem Betrag Zinsen hinzuzufügen. Keine Reaktion. Wahrscheinlich lagen meine Briefe auf dem Stapel all der ungeöffneten und unbeglichenen Rechnungen ganz unten auf dem Schreibtisch, wo sie sich bereits bei meinem Weggang stapelten. Wie ich später erfuhr, nennt man das im Fachdeutsch "Insolvenzverschleppung". Ich informierte mich, wie ich weiter vorgehen könnte. Ab diesem Punkt wurde es für mich als juristischen Laien ziemlich kompliziert, in Amts- und Juristensprache noch durchzusehen. Aber mir selbst einen Anwalt zu nehmen war finanziell nicht denkbar, erst recht, weil ich die Erfolgsaussichten nicht einschätzen konnte. Ich arbeitete mich also ein und bestellte beim Amtsgericht einen Gerichtsvollzieher. Dessen Einsätze zahlte ich aus eigener Tasche. Er war zweimal vor Ort. Beim ersten Mal wurde ihm nicht geöffnet. Daraufhin beantragte ich einen Durchsuchungsbefehl für ihn. Beim zweiten Mal bekam er knapp 200 €, die er mir umgehend überwies. Danach war wieder Sendepause. Der Gerichtsvollzieher rief mich an, dass er nun nichts mehr tun könne, da ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Ab diesem Zeitpunkt darf nicht mehr gepfändet werden.
Aber es geht noch schlimmer, sprich: ungerechter: Nach einigen Monaten bekam ich Post von der zuständigen Anwaltskanzlei, dass ich bitte umgehend die bereits erhaltene Summe zurückzuzahlen hätte. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens darf mehrere Monate rückwirkend schon ausgezahltes Geld an Gläubiger zurückverlangt werden. Ganz rechtmäßig, wie wir nach einem Studium der betreffenden Gesetze erkennen mussten. Ich hätte mich gern geweigert, weil ich diese Situation wirklich haarsträubend unfair fand, aber das Recht war auf der Seite meiner ehemaligen Chefin. Hätte ich nicht gezahlt, wäre ein Verfahren zu meinen Lasten angestrengt worden. Ich zahlte also zähneknirschend. Der ganze Prozess dauerte ungefähr ein Jahr, seitdem habe ich nichts mehr davon gehört.
Bis heute. Ein Brief des Anwalts lag in meinem Briefkasten, den ich aufgrund des kuriosen Namens sofort erkannte (mir fällt öfter auf, dass Anwälte und Notare besondere Namen haben, euch auch?). Ich öffnete ihn eilig, weil ich sehr gespannt auf den Inhalt war. Von "Verfahren eingestellt" bis "überweisen Gesamtbetrag umgehend" schwirrte alles durch meinen Kopf. Es war dann etwas in der Mitte davon: Das Verfahren ist tatsächlich beendet worden. Da aber die Gesamtschuld die verfügbare Menge an Finanzmitteln um ca. das Zehnfache übersteigt, gibt es - an dieser Stelle geht es ausnahmsweise mal gerecht zu - für jeden Gläubiger auch nur 10% seiner Forderungen. Also nur rund 100 € für mich. Nach fünf Jahren! Und meine Ex-Chefin ist weiter im Geschäft, macht einfach weiter, so, wie sie es immer getan hat. Und wird wohl auch weiterhin mit ihren Mitarbeitern ebenso umgehen wie mit mir.
Das Schlimmste daran finde ich aber nicht einmal den finanziellen Ausfall (obwohl der bei größeren Summen auch den Konkurs eines Unternehmens zur Folge haben könnte). Nein, das Schlimmste ist, dass es scheinbar so einfach ist, andere zu betrügen, über Jahre hinweg Leistungen in Anspruch zu nehmen und sie nicht zu bezahlen, ohne jemals wirklich dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Irgendwie sind da richtig und falsch vertauscht, dem "Täter" geht es gut und die Opfer können sehen, wo sie bleiben.
Und da soll man noch an rechtliche Gerechtigkeit glauben...

4 Kommentare:

by Aprikaner hat gesagt…

ach Mensch was für ein Mist *drück*

Beate hat gesagt…

nicht wirklich? da fällt mir nur das berühmte Wort mit Sch.. dazu ein

Trotzdem liebe Grüße

Beate

Stiny hat gesagt…

Liebe Regina!

Ich kann dich voll und ganz verstehen! Neben dem Finanziellen kommt vor allem der psychische Stress dazu. Leider habe ich auch schon mitbekommen, dass man obwohl man moralisch im Recht ist, gesetzlich den Kürzeren zieht.
Es wird nicht hinter die Geschichte geschaut, sondern nur mit Gesetzen um sich geworfen. Man muss lernen damit umgehen zu können.
Damals habe ich ein Monatsgehalt vom Chef nicht bekommen, ich habe Vollzeit gearbeitet und wurde voll bezahlt. Erst als ich zum Gericht ging und ein Schreiben aufgesetzt wurde, hat er überwiesen. Das hätte man auch echt anders haben können.
Nun ja, so schlagen wir uns wohl durch ;)
Immerhin bekommst du doch noch was, wenn auch nicht das, was du dir verdient hast!

Lieben Gruß, Kerstin

Doro hat gesagt…

Ach ja, da könnte ich ähnliche Erfahrungen von uns beisteuern, in noch größeren Dimensionen ... Sowas ist sehr, sehr ärgerlich. Aber lass dich davon nicht zu sehr ärgern, es bringt nix. Und die einzige, die drunter leidet, bist du selbst, leider. Ich hoffe, du findest genug Erfreuliches in den nächsten Tagen, um dem Ärger was entgegenzusetzen.

Liebe Grüße, Doro

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...