Das vergangene Wochenende habe ich nicht zu Hause in der Stadt, sondern ganz idyllisch auf dem Land verbracht. Inmitten von Wiesen, Feldern, Schafen und einer Gruppe sehr netter Frauen habe ich aus Wolle, Wasser und Seife mit meinen eigenen Händen etwas ganz Wunderbares geschaffen: eine Puppe.
Am Samstag ziemlich früh am Morgen machte ich mich mit dem Überlandbus auf nach Hetzdorf zum
Hof Kornrade. Auf halber Strecke traf ich mich mit
Nicole, die direkt aus dem Harz kam, und gemeinsam fuhren wir zu unserem ersten gemeinsamen Filzkurs.
Bei herrlichem Sonnenschein lag der Hof sehr idyllisch da, wild berankt von bunt leuchtenden Blumen. In einem Teil der Scheune warteten bereits die anderen 7 Teilnehmerinnen und die Kursleiterin, Edeltraut Kleiner, auf uns. Wir tranken noch gemeinsam einen Tee und dann ging's los.
Wir banden Rohwolle zu Strängen, teilten aus einem weiteren Strang Kopf und Körper ab, legten Arm- und Beinstränge ein, machten Kopf und Oberkörper noch einmal dicker und umwickelten alles fest mit Garn.
Dann wurde die Hautschicht aus hautfarbener Wolle nass um das Grundgerüst gefilzt und gewalkt. Dabei formten wir bereits kleine Daumen, die wir an den Handflächen anfilzten, und verdickten Fersen und Po durch extra aufgelegte Wollpäckchen.
Die Falten vor dem Walken lassen den Po sehr realistisch aussehen ;-)
Als der Körper komplett fest umhüllt war, folgte das Schwierigste - das Gesicht. Zuerst formten wir nach einer sehr ausgeklügelten Methode wunderschöne Lippen, deren Farben wir zuvor individuell gemischt hatten. Die Nase wurde einzeln geformt und nass aufs Gesicht gefilzt, ebenso etwas dickere Wangen und Wangenrot. Die Augen wurden Schicht für Schicht aufgenadelt: Zuerst das Augenweiß, dann die farbige Iris, dann die Pupille, der Lichtreflex im Auge, die Umrandung und schließlich die Augenbrauen. Anschließend wurde alles noch einmal nass überfilzt, gewalkt und überbrüht.
Während die meisten Puppen (hier im Kurs wie auch in den Geschäften) meist nur anhand von Haaren und Kleidung als Mädchen oder Junge zu identifizieren sind, war mir eine Ausgestaltung auch dieser Merkmale wichtig. Das ist beim Filzen fast schon eine erotische Angelegenheit ;-)
Nach dem Gesicht waren die Haare an der Reihe. Ich hatte lange keine Vorstellung, wie meine Puppe einmal aussehen oder was sie darstellen soll. Aber nach einem Blick auf die vielen wunderschön gefärbten Päckchen mit den
Wensleydale-Löckchen war klar: Meine Puppe bekommt regenbogenfarbene Locken!
Zwischendurch machten wir uns Notizen, aßen in der Herbstsonne auf dem
Hof unser mitgebrachtes Mittagessen und bewunderten die gigantische Wolllieferung.
Nach dem Walken und Schleudern (in so einer herrlich altmodischen, runden DDR-Schleuder) sah mein Puppenkind etwas zerknautscht aus.
Am Ende des ersten Kurstages saßen acht nackte Puppenkinder zum Trocknen auf der Heizung und warteten auf den nächsten Tag (und endlich etwas Kleidung).
Am Sonntag arbeiteten wir an der Kleidung für unsere Puppen. Es entstanden Hemdchen, Kleider, Latzhosen, Hüte und Capes, auch ein kleines Täschchen, eine Stola, ein Gürtel und natürlich viele Paar kleine Schuhe und Stiefelchen wurden gefilzt.
Das Kleid war ziemlich aufwändig, weil jede Blüte und jeder Halm einzeln gelegt und tlw. aus Vorfilz gefertigt und geschnitten wurden. Dafür mag ich den "unsauberen" Abschluss besonders gern, er passt so gut zum natürlichen Thema des Kleides.
Auf unserer "Sonnenbank" im Hof legte ich letzte Hand an die Kleidung und bestickte sie teilweise, dann ging es zum Fotoshooting.
Klar, dass es neben den Einzelfotos auch ein Gruppenbild der liebreizenden Damen und Herren geben musste. Leider fehlt auf diesen Bildern eine Puppe, weil eine Teilnehmerin am Sonntag nicht kommen konnte und ihr Püppchen daher zu Hause vollenden muss.
Ist es nicht unglaublich, wie schön und individuell sie alle geworden sind? Für uns alle war es das erste Mal, dass wir eine Puppe gefilzt haben! Und am Ende hat jede so ein kleines Wunderwerk mit nach Hause genommen.
Sehr interessant ist auch, wie viele der Puppen ihrer Schöpferin ähneln - äußerlich oder auch charakterlich und vor allem, ohne dass eine von uns das beabsichtigt hat. Ich habe in meine Puppe all meine fröhlichen, fantasievollen Anteile hinein gelegt, Nicoles dunkelhaariges Rotkäppchen ähnelt ihr selbst sehr (wie ich finde) und die wild gelockte Puppe im beerenfarbenen Kleid trägt exakt die gleichen Farben wie ihre Puppenmutti an dem Tag (auf dem Bild fehlt noch das moosgrüne Cape).
Mein kleines Schulkind meinte abends: "Und nächstes Mal komme ich mit und dann mache ich einen kleinen Jungen mit einem kleinen Penis dran!" :-)
Es war ein sehr schönes Wochenende mit ganz lieben Menschen und wundervollen Erlebnissen! Jetzt habe ich wieder richtig große Lust aufs Filzen! Mal sehen, ob ich für Weihnachten etwas anfertige, ich hab da eine tolle Inspiration vom Hof mitgebracht...