Radfahren kann (fast) jeder. Bergwandern auch. Und wer man schon mal in den Alpen war, dem sind bestimmt ein paar Radfanatiker begegnet, die sich dort die Serpentinen hochquälen (ich schwanke dann immer zwischen Mitleid und "Warum tut sich das jemand freiwillig an???"). Aber es geht noch verrückter: Das Rad den Berg bis zum Gipfel hoch tragen (!!!), um dann auf steilen, steinigen, rutschigen Pfaden talwärts zu brettern. Das Ganze nennt sich dann Bergbikesteigen oder Vertriding.
Bis gestern konnte ich mir nicht vorstellen, dass es so etwas überhaupt gibt. Bis ich Harald Philipp kennen gelernt habe. Der Mann ist in etwa so alt wie ich und einer der besten Bikebergsteiger der Welt. Sein Ziel: Die höchsten Gipfel, die steilsten Trails, die eisigsten Gletscher zu bezwingen - nur mit seinem Mountainbike! Das Irrste daran: Er kann das wirklich! Er fährt scheinbar mühelos, mit einem strahlenden Grinsen und praktisch ohne Stürze (!) Pfade, bei denen der Durchschnittswanderer schon mit bloßen Füßen auf jeden Schritt achtet, und springt und hüpft auf seinen zwei dicken Reifen über Gipfelgrate, an denen wir beim Wandern in Österreich die Kinder an uns angeseilt haben, weil es rechts und links so steil ins Tal hinunter ging. Von den keinen halben Meter breiten Klettersteigen direkt am Abhang ganz zu schweigen.... Wenn irgendwo ein Schild steht "Radfahren verboten", weil zu gefährlich, dann legt Harald erst richtig los.
Wie macht er das bloß? Und wie kommt jemand überhaupt auf so eine unglaubliche Idee? Darüber hat Harald Philipp gestern Abend zwei Stunden lang in der Dresdner Globetrotter-Filiale Auskunft gegeben. Seine Touren werden von renommierten Outdoor-Fotograf_innen und Filmern begleitet, so dass er wirklich traumhaftes Bildmaterial im Gepäck hatte. Meine eigene Beziehung zu den Alpen ist ja durchaus ambivalent, aber gestern Abend konnte ich einfach nur in herrlichen Panoramen, Naturwelten und Nachtaufnahmen schwelgen. Der Vorschlag zu dieser Abendveranstaltung, unserer allerersten ohne Kinder UND ohne Babysitter im Übrigen, kam von mir. Wohl wissend, dass sie beim alpen-, wander- und fahrradliebenden Ehemann eine gewisse Sehnsucht auslösen könnte. Aber er konnte mich beruhigen: "Keine Sorge, dass ich das nach dem Vortrag auch machen will! Ich wollte das schon vorher!"
Ich bin ja eher der Typ "ängstlicher Flachlandradler". Ich sitze gern auf meinem Fahrrad, aber ich brauche glatte, breite Wege und die sollten bitteschön auch möglichst eben verlaufen. Anstiege mag ich gar nicht, steile Stücke ebenfalls, rutschigen Untergrund wie Splitt erst recht nicht. Ich steige relativ schnell ab und schiebe lieber, vor allem bergab. Also bin ich quasi das ganze Gegenteil von Harald Phlilipp - und trotzdem hat es Spaß gemacht, ihm zuzuhören und zuzusehen. Wahrscheinlich, weil er selbst so viel Spaß an dem hat, was er macht. Weil es kein harter Wettbewerb mit sich selbst, dem Berg und den Elementen ist, sondern einfach ein großes Abenteuer, wie ein fantastisches Spiel für einen kleinen Jungen. Liebevoll nennt er deshalb sein knallgrünes MTB auch sein "Spielzeug" und hat ihm ein komplettes Zimmer seiner Wohnung gewidmet! Ein begehbarer Kleiderschrank nur für Fahrradteile, Fahrradklamotten, die Fahrradwaage und alles, was ein Profibiker eben so braucht.Da bekam der Mann neben mir ganz leuchtende Augen.
Ich habe mir ziemlich oft im Film kurz die Hand vor die Augen gehalten, weil ich manches kaum mit anschauen konnte, so eng, steil, gefährlich sah es aus. Meine absoluten Lieblingsstellen im Vortrag waren aber das wirklich liebevolle Abduschen des Fahrradrahmens in der Badewanne und die 24-h-Nachtaufnahmen von Innsbruck des Fotografen Christoph Malin. Und noch etwas hat mir gut gefallen: Harald hat auch von seiner Freundin erzählt, die selbst kein MTB fährt, sondern zu Hause auf ihn wartet, wenn er von seinen Touren kommt. Er meinte, dass er sich nach seinen Outdoor-Abenteuern immer sehr auf sie und sein Zuhause freut. Warum ich das so schön finde? Weil ich manchmal befürchte, dass es meinem Sportler hier fehlt, diese Hobbys mit seiner Frau, also mir, teilen zu können. Haralds Schilderung hat mich in dieser Hinsicht also ziemlich beruhigt.
Falls Harald mit seinem Programm mal bei euch in der Nähe gastiert, kann ich es nur empfehlen. Seinen aktuellen Film "Sea of Rock" von der Erstbefahrung der bisher als unbefahrbar geltenden Alpenformation "Steinernes Meer" gibt es auch im Rahmen des BANFF-Bergfilmfestivals zu sehen, das zumindest hier in Dresden leider längst ausverkauft ist. Online gibt es ihn hier zu sehen sowie hier noch zwei kurze Filme übers Bikebergsteigen allgemein.
Der Heimweg auf dem glatt asphaltierten Radweg war dann irgendwie langweilig... ;-)
1 Kommentar:
Ach, das klingt wirklich spannend! War sicher ein wunderbarer Vortrag - und dass dir der Heimweg danach langweilig vorkam, kann ich mir gut vorstellen...
;)
Liebe Grüße
Christiane (Flachlandradlerin!)
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