Ach ja, der Sport und ich. So richtig warm geworden sind wir nie miteinander. Dabei sah unsere Beziehung anfangs noch ganz vielversprechend aus. Als Kind tobte ich - wie alle Kinder - liebend gern durch Wald und Garten, kletterte auf Bäume und lief mit meinen Brüdern um die Wette. Bis ich zehn Jahre alt war, besaßen wir kein Auto und erledigten alle Wege zu Fuß, per Rad oder mit den Öffentlichen. Oma und Opa wohnten ziemlich weit außerhalb, mütterlicherseits wie auch väterlicherseits. Trotz Zug und Bus gab es da immer noch einen längeren Fußmarsch. Und sonntags zur Messe sowieso. Klar hat das auch mal genervt - aber es hielt fit. Und brachte mir, zusammen mit meinen langen Beinen, in der Grundschulzeit einige Medaillen und Urkunden ein. An der Kletterstange überholte ich sogar die Jungs. Und erst die Sport-Eins auf dem Zeugnis! Die muss ich mir immer mal wieder angucken, sonst glaub ich's selbst nicht *ggg*. Denn danach ist irgendwas passiert. Zwischen mir und dem Sport gab es immer öfter Streit. Zuerst nur beim Kugelstoßen. Später auch, wenn es darum ging, Kopf- und Handstand zu machen oder auf dem Schwebebalken eine einigermaßen gute Figur abzugeben. Damals ahnte ich: Wir passen nicht so gut zusammen, wie ich immer dachte. "Unüberbrückbare Hindernisse" nennen das die Promis, wenn die siebte Scheidung ansteht. Das passte auch bei uns. Ich wurde immer größer, war Drittgrößte der Klasse. Mein Körper nahm mehr und mehr weibliche Formen an. Ich zeichnete unablässig, liebte Fremdsprachen, verschlang ein Buch nach dem anderen, schrieb selbst Geschichten, lernte das Backen und tobte zwischendurch durch den elterlichen Garten. Ich konnte viel, lernte leicht, war neugierig, suchte ständig neue Herausforderungen. Nur elegantes "Wasserschöpfen" auf dem Schwebebalken oder leichtfüßiges Radschlagen beim Bodenturnen - das lag mir einfach überhaupt nicht. Manchmal hat man ja Glück und ein wirklich guter Lehrer gleicht sowas aus. Nicht bei mir. Jede einzelne Sportlehrerin, die ich an drei Schulen erleben "durfte", war unmöglich. Wenn ich dann noch höre, welche haarsträubenden Geschichten meine Kinder, Geschwister und mein Mann aus dem Sportunterricht berichten, frage ich mich, was für ein seltsamer Menschenschlag sich da eigentlich für eine Karriere als Sportlehrer entscheidet... "50 Shades of Grey" in der Turnhalle, oder was? Nun bin ich jemand, der auch über Äußerlichkeiten, z.B. Kleidung oder Ausrüstung zu motivieren ist. Schicke Funktionsklamotten oder hochwertiges Trainingsgerät tragen schon sehr zum Wohlfühlen bei mir bei und auch unangenehme Herausforderungen. Wahrscheinlich heiratet man deshalb auch nicht in Jeans & Pulli :-) Was war meine Freude groß, als Oma und Opa mich beim ersten Besuch im Westen nach dem Mauerfall sportlich topmodisch neu einkleideten! Einen Trilobalanzug gab es für mich, einen pinkfarbenen Badeanzug mit kleinen gerafften Flügelchen und Palmeninseldruck und vor allem: einen nagelneuen Gymnastikanzug in Flieder mit schwarzen Pünktchen! Als ich aber in der 5. Klasse ganz stolz damit aus der Umkleide schwebte, blökte plötzlich die Sportlehrerinnenstimme direkt eben meinem Ohr: "Ein schicker neuer Anzug macht aber auch keine bessere Sportlerin aus dir!" Demotivation und pädagogische Unfähigkeit für Fortgeschrittene!
Seitdem habe ich mir dann auch keine Mühe mehr gegeben. Eine Vier auf dem Zeugnis? Püh! Mir doch egal. Fortan kommentierte ich den Sinn und Unsinn von Standwaage und Dreierhopp vom Turnhallenrand aus und mogelte mich irgendwie durch. Meine Abneigung aber blieb bestehen und ich wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, neben dem verhassten Schulsport noch freiwillig meine Freizeit mit körperlicher Ertüchtigung zu verbringen. Ich hätte auch gar keine Zeit gehabt dafür, war ich doch immer gut ausgebucht in meiner Freizeit. Es gibt so viele tolle, spannende, interessante Dinge, mit denen man sich nach Schule und Arbeit beschäftigen kann - warum sollte man da ausgerechnet Sport machen?! Ich glaube, über das Ende des Sportunterrichtes habe ich mich nach dem Abi mehr gefreut als darüber, nie mehr Mathe machen zu müssen (Äh, zumindest dachte ich das, bis im Hauptstudium plötzlich "Maschinenbau" und "Bauwesen" auf meinem Stundenplan standen. Aber das ist eine andere Geschichte, mit Mathe und mir...).
Eine ganze Weile konnten mir Schweiß und Muskelkater getrost gestohlen bleiben, bis ich an der Uni das Programm des Unisports las. So viele verschiedene Kurse gab es da - und längst nicht alle klangen völlig abschreckend. Vor allem aber hatte ich zum allerersten Mal die Möglichkeit, mir ganz und gar freiwillig auszusuchen, ob und wann und mit wem ich mich da bewegen möchte. Und so schrieb ich mich, zusammen mit einer Freundin, für Bauch-Beine-Po ein. Und für Box-Aerobic. Und für Bauchtanz gleich auch noch. Wenn man schonmal dabei ist. Wir hatten viel Spaß. Meine Konfektionsgröße auch. Die Zweisamkeit erleichterte das Überwinden des inneren Schweinehundes enorm - das ist bei mir auch heute noch so. Nur der Inlineskatekurs, den ich meinem Mann zuliebe gebucht habe, führte außer zu zahlreichen Schrammen (vor allem an meinem Po) zu keinerlei Erfolg. Dafür aber zu der Erkenntnis, dass meine Füße sich mit direktem Bodenkontakt immer noch am wohlsten fühlen. Eine Schuhsohle drunter ist ok, mehr aber auch nicht. Und vor allem nichts, was rutscht oder gleitet oder fährt!
Dann kamen mein Auslandssemester in Brüssel und die erste Schwangerschaft und der Sport pausierte erstmal. Ich vermisste ihn auch nicht. Wieder war alles andere viel wichtiger. Ohnehin machte sich bei jeder Bewegung ohne Fahrrad meine mir bis dahin völlig unbekannte
Symphyse schmerzhaft bemerkbar.
Seit ich mich nicht mehr mit Schwangerschaften und Stillzeiten herausreden kann, versuche ich es immer mal wieder, zugegebenermaßen aber nur halbherzig. Eben das, was dabei herauskommt, wenn man denkt, man müsste mal, aber eigentlich gar nicht richtig will. Und Sport auf der Liste der Lieblingsfreizeitbeschäftigungen gefühlt auf Platz 543 kommt, höchstens. Was könnte man in der Zeit stattdessen alles Schönes machen!
Im letzten Jahr versuchte ich mich dann am Trendsport Zumba, denn ich dachte mir: Heiße lateinamerikanische Rhythmen, das wär's. Weniger Sport, mehr Tanz. War's dann aber doch nicht. Auch der reichlich aufgesetzt wirkende Trainer mit seinen hautengen pinkfarbenen Anzügen konnte mich nicht überzeugen. Die sehr schnellen und sehr variablen Schrittfolgen, bei denen sich meine Füße regelmäßig verhedderten, auch nicht.
Dann also Yoga, da verheddert sich wenigstens nichts. Tolle Leiterin, nette Gruppe und die meisten Übungen dann doch auch für mich machbar, aber zur besten Tagesschauzeit noch einmal durch die halbe Stadt zu fahren, war bald zu viel für meine Motivation.
Und nun: Yoga vormittags, gleich nach dem in-die-Schule-bringen des kleinen Schulkindes. Schweinehund ausgetrickst. Und das mit dem Atmen, während ich einmal komplett eingerollt bin und Bauch und Brust und alles andere sich auf kleinster Fläche quetschen müssen - das krieg ich auch noch hin. Nur meine nicht vorhandenen Bauchmuskeln laufen Amok :-)