Dienstag, 28. Oktober 2014

Träume werden Wirklichkeit: Eine Theaterkritik

So gern ich auch ins Kino gehe - ein vor meinen Augen live auf einer Bühne aufgeführtes Stück kann kein Film toppen! Schon als Studentin in Leipzig war ich regelmäßig in Oper und Operette zu Gast, denn dank eines speziellen Tickets konnten wir für nur 5 DM (ja, so lange ist das schon her *ggg*) jede Vorstellung besuchen - oft sogar in der ersten Reihe! Meine absolute Lieblingsoper "Die Zauberflöte" habe ich bereits mehrfach in verschiedenen Aufführungen besucht und könnte sie immer wieder sehen und hören (und für die Zeit zwischendurch hab ich sie auch auf CD zu Hause). Ein ganz großes Opernhighlight war im letzten Jahr natürlich mein Besuch der Nabucco-Aufführung in der Arena die Verona! Nun habe ich auch hier in Dresden Menschen gefunden, die ebenso gern ins Theater gehen wie ich, und kann die hiesigen Bühnen erkunden. Im Sommer ist das Sommertheater im Bärenzwinger ein herrlich komischer Pflichttermin, Restlos ausverkauft im Boulevardtheater hat mir auch wirklich gut gefallen. In der Comödie sahen wir letztes Jahr an Heilig Abend die Weihnachtsgans Auguste. Selbstverständlich war ich auch schon in der Semperoper und in der Staatsoperette, z.B. im Zauberer von Oz (ganz toll!) und in der mitreißenden Weihnachtsshow voller Weihnachts-Ohrwürmer. Das erste Theaterstück des Staatsschauspiels war vor ziemlich genau einem Jahr Frau Müller muss weg im Kleinen Haus - ein geniales (Lehr-) Stück über Eltern und Lehrer. Im Frühjahr sahen wir am gleichen Ort Die Firma dankt (sehr gut, es gibt viel zum Lachen, aber manchmal bleibt einem auch ganz schön das Lachen im Halse stecken). Und letzte Woche besuchte ich dann gemeinsam mit einer Freundin Träume werden Wirklichkeit. Ein Disneydrama. Darüber möchte ich euch etwas mehr erzählen. 

Ich muss zugeben, allein die Erwähnung des Namens "Disney" hat das Stück für mich interessant gemacht, gehöre ich doch zu der Mädchenfraktion, die mit entrücktem Blick der Verwandlung vom Kürbis zur Kutsche folgt und für die ein Happy End zwischen Belle & Biest das Höchste der Trickfilmgefühle ist ;-). Als ich dann noch in der Beschreibung las, es ginge um ein desillusioniertes Paar, das traurig über den mangelnden "Disney-Faktor" in seinem Leben ist, war klar: Das will ich sehen!

 Ines Marie Westernströer, der Hase Klopfer und Thomas Schumacher in "Träume werden Wirklichkeit. Ein Disneydrama".
(Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn)

Am vergangenen Donnerstag stieg ich also mit meiner Freundin Lisa ganz nach oben in den dritten Stock des Kleinen Hauses in der Dresdner Neustadt, um auf einem der wenigen Stühle Platz zu nehmen, die vor der kleinen Bühne standen. Dort gab es ein rosa Bett mit Tinkerbell-Bettwäsche, eine Spielzeugkiste, Puppen und Plüschtiere - wir befanden uns eindeutig in einem Kinderzimmer, vermutlich das eines kleinen Mädchens. Als das Licht fast komplett verlosch und die beiden Schauspieler Ines Marie Westernströer und Thomas Schumacher die Bühne betraten, änderte sich die Szenerie schlagartig: Nun hatten wir eine deprimierte Ehefrau und Mutter (A) und ihren desillusionierten Liebhaber (B) vor uns, die erst eine kurze Nacht und anschließend einen sehr langen Tag miteinander verbringen. Deprimiert? Nein, richtig depressiv sei sie, so ihre Eigendiagnose. Und warum? Weil ihr Leben in keinster Weise dem entsprach, was ihr in den so zahlreich konsumierten Disneymärchen versprochen wurde. 
 
 Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn

B, erst  verständnislos, dann wütend und systemkritisch, schließlich verständnisvoll, versucht gemeinsam mit A herauszufinden, was DAS denn eigentlich ist, was ihnen beiden so sehr fehlt. Das gipfelt in der Aufführung ihres ganz eigenen Disneydramas, das aus urheberrechtlichen Gründen nun "Diskydrama" heißen muss; Kritik wird im Hause der rosaroten Prinzessinnenwelten scheinbar nicht geschätzt. Während A sich nun also ihrem Traum von Schneewittchenpocahontascinderella hingibt, wäre B viel lieber ein gefährlich-starker deutschtürkischer Aladin oder auch mal selbst Arielle. Alles, bloß kein Prinz! Den muss B allerdings A zuliebe in ihrem Teil des Stücks geben - was ihm wunderbar gelingt. Thomas Schumacher überzeugt als aggressiver Aladin ebenso wie als warmduschender Prinz mit Fönfrisur, wechselt rasant zwischen psychoanalytisch versiertem Kuschelhäschen und strippendem Liebhaber, hält als Barack Obama eine feurig-patriotische Rede mit absurdem Ausgang und wirkt selbst mit Langhaarperücke und glitzerndem Fischschwanz nicht albern. In seinen zahlreichen Rollen wütet, springt, tanzt, lispelt und gurrt er um Ines Marie Westernströer herum, die sich von der traurigen Mutter zum noch traurigeren Schneewittchen verwandelt und zwischendurch die abgeklärte, vom Kapitalismus überzeugte Therapeutin gibt - und das alles allein mit wechselnden Röcken. Aber immer mit viel Interaktion mit dem Publikum. Was bleibt, ist die Hoffnung, DAS in ihrem Leben doch noch zu erreichen, zu fühlen, zu erleben. Was auch immer DAS genau ist: Sie wird es finden! Und er hilft ihr dabei. Wenn's sein muss, im Ariellekostüm und mit Dagobert Ducks Zwicker auf dem Schnabel.

 Was A nach der Geburt ihres Kindes so sehr bewegt, kann B bloß erahnen.
(Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn)

 Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn

Alles, bloß kein Prinz: B als Meerjungfrau.
(Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn)

Thomas Schumacher wütend als Aladin...
(Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn)

...patriotisch als Barack Obama...
(Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn

...und als lispelnder, singender Zwerg, der Schneewittchen vom Apfelessen abhält.
(Foto: Staatsschauspiel Dresden, Matthias Horn

Für dieses Stück gibt es von mir eine klare Empfehlung! Ich jedenfalls würde es mir immer wieder anschauen. Würde? Nein. Ich tu's sogar. Die Karten für die nächste Aufführung liegen schon bereit.


PS.: Wer immer noch nicht überzeugt ist: Mitten im Stück fragt Thomas Schumacher ins Publikum, ob ihn jemand küssen möchte. Und ja, es lohnt sich :-)

Alle Bilder verwende ich mit freundlicher Genehmigung der Pressestelle des Staatsschauspiels Dresden.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Herzlichen Dank für diesen Tipp! Wäre auf jeden Fall eine Überlegung wert, zumal wir es nicht scheuen, abends auch den Heimweg nach Leipzig anzutreten...haben wir ja schon hin und wieder getan...nach einem Opernbesuch...;-). LG Lotta.

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